Die Jahre | Erste Bilder & Rezensionen

Die Jahre_01

Von der ersten Spielserie in Linz bleiben zwei sehr schöne Besprechungen, die wir hier in voller Länge wiedergeben. Reinhard Winkler hat die Generalprobe mitfotografiert – unter den Rezensionen eine Auswahl seiner Bilder.

Oberösterreichische Nachrichten, 6. März 2020. Karin Schütze

Von der Scham zur Lust

Dem Frausein im gesellschaftlichen Wandel spürt Regisseurin Claudia Seigmann in ihrem jüngsten Stück nach, unter viel Zuspruch uraufgeführt am Mittwoch im Linzer Posthof. Ihre Bühnenfassung der autobiografischen Erzählung „Die Jahre“ der Französin Annie Ernaux verwebt Ernst und Tragikomik. Leise wie unaufhaltsam tickt die Uhr auf der Zeitreise von 1940 bis 2000, versinnbildlicht von einer gleitenden Zeitschiene (Paul Horn, Seigmann).

In einem szenischen Reigen teilen sich Marie-Christine Friedrich, Susanne Gschwendtner und Sarah Scherer ausgewählte Textpassagen, in ruhigem Erzählfluss lassen sie den Worten genug Zeit, nachzuklingen. Ihr schwarz-weiß gestreiftes Outfit (Anne Buffetrille) erinnert an Sträflingsanzüge, während sie dem Gefangensein in (weiblichen) Rollen nachspüren, das Annie Ernaux scharfsinnig und mit feinem Humor analysiert hat. Im Wandel der Jahre. Vom Scham- zum Lustprinzip. Von der Angst zur sexuellen Befreiung dank Pille und legalisierter Abtreibung. Vom Drang – unter sozialem Druck – zur Ehe bis zum Scheidungswunsch. Vom Algerienkrieg zum Mauerfall. Vom Plattenspieler zum Walkman.

Vieles scheint weit weg und ist doch noch nicht so lange her. Ein stimmiger Abend, der Ernstes leichtfüßig verhandelt. Fazit: Eine eindringliche Zeitreise, die den Blick auf das Heute schärft.

Kronen Zeitung, 6. März 2020. Jasmin Gaderer

Frauenleben als verbales Pingpong

Volle weibliche Kraft voraus hieß es bei der Uraufführung des französischen Bestsellers „Die Jahre“ von Annie Ernaux durch das theaternyx* im Linzer Posthof. Punktgenaues verbales Pingpong machte einen herausfordernden Textbrocken für das Publikum verdaulich.

Bis sich der literarische Bestseller „Die Jahre“ von Annie Ernaux bis zu uns durchgearbeitet hatte, dauerte es einige Zeit: 2008 wurde das autobiografische Werk in Frankreich veröffentlicht, erst 2017 erschien die deutsche Übersetzung. In Kooperation mit dem Posthof erarbeitete Claudia Seigmann vom Linzer theaternyx* nun eine deutsche Inszenierung, die bei der Uraufführung im Mittleren Saal des Posthofs das Publikum begeisterte.

Die drei Darstellerinnen Marie-Christine Friedrich, Susanne Gschwendtner und Sarah Scherer absolvierten den Abend hochkonzentriert, spielten sich die Textmassen gegenseitig zu und lockerten das nur lose an einer Geschichte haftende Zeiten-Panorama gekonnt auf. Sympathisch und einfühlsam nahmen sie so die Besucher an der Hand. Für Orientierung sorgte auch die praktische Bühne von Paul Horn und Regisseurin Seigmann selbst. Schade, dass vorerst keine weiteren „Die Jahre“-Vorstellungen stattfinden.