StadtRAUSCHEN | Die Aufführung

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StadtRAUSCHEN
Wien – Linz – Graz
Aufführung 28.06.2013, 19:00 Uhr

Wenn dort, wo etwas war, nichts mehr ist, löst das möglicherweise Schrecken aus: Schock oder schleichendes Unbehagen. In diesem Sinn ist die Linzer Tabakfabrik der perfekte Ort für die Uraufführung von StadtRAUSCHEN: dieses geisterhafte Ungetüm des Industriezeitalters, dessen ursprüngliche Bestimmung verschwunden und dessen neue programmatische Ausrichtung noch nicht klar ist. Wie die Pubertät ist dieses Areal ein Ort im Übergang.

Die kleinen Exkursionen am Beginn der Aufführung zu Ecken der Tabakfabrik spielen mit der Behauptung, dass früher an diesem Ort das Stadtzentrum mit dem alten Markt gewesen sei; wovon noch Spuren zeugen: Das reale Gebäude wird lustvoll mit Fiktionen überlagert, das Rauschen der nahen Donau in der Imagination der BesucherInnen heraufbeschworen.

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Umrisse von Menschen und Gegenständen, am Boden und an Wänden mit Kreide oder Klebeband aufgebracht, werden im weiteren Verlauf der Performance zu Containern der Abwesenheit. Sie machen das, was verschwunden ist, schmerzlich präsent, weil sie einen Platz freihalten für etwas, das nicht zurückkommt: das Lieblingsvideo, der Drache über dem Schultor, der Bruder, der in Hamburg Schiffahrtstechnik studiert. Was zurückbleibt, ist weißes Rauschen – und das Dröhnen der Stadt. Im erweiterten Horizont des Stücks erscheinen die Städte selbst wie Container für erinnerungsgetränkte oder zukunftstragende An- und geisterhafte Abwesenheiten. Auch wenn Wege durch die Stadt mit U- und Straßenbahn ausführlich nacherzählt werden, verfolgen sie keine Wiedergabe einer realen Stadt, sondern die Freilegung verborgener urbaner Schichten, emotionaler Gemengelagen und Ahnungen, die schwer in Worte zu fassen sind.

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Verlusterfahrungen assoziieren wir oft mit einer langen Lebenszeit; aber gerade der Abschied von der Kindheit liest sich wie eine Kette von Verlusten: Entsprechend emotional fallen die Geschichten aus, die erzählt werden; entsprechend kraftvoll realisieren die Jugendlichen ihre Stadtrituale. In den Fensterflächen des großen Rolltors des Magazins entsteht ein Setzkasten des Verschwundenen. Namen werden eingetragen, Gegenstände abgelegt, bis sich das Tor am Ende der Aufführung hebt, um den Blick nach draußen freizugeben – in eine offene Zukunft, in die hinein die Jugendlichen kurze Briefe an sich selbst in zehn Jahren geschrieben haben. Einzelnen Zusehenden werden diese Briefe zur Aufbewahrung anvertraut, bevor die jungen DarstellerInnen in die Stadt hinauslaufen. So sind wir Zeugen flüchtiger Momente geworden, als hätten wir uns selbst durch die Stadt bewegt, die uns mit ihren überwältigenden, alltäglichen, bedrohlichen und bereichernden Facetten wie diese Aufführung entgegenkommt. (z)

Foto © SCHÄXPIR, Reinhard Winkler